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AVIVA-BERLIN.de im März 2025 - Beitrag vom 22.03.2025


Antje Rávik Strubel. Der Einfluss der Fasane
Silvy Pommerenke

Vier Jahre nach ihrem Roman "Die blaue Frau", für den Antje Rávik Strubel mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, widmet sie sich mit ihrem neuen Buch erneut dem Thema patriarchale Gewalt. Allerdings erweitert sie das Panorama: die Frauen schlagen zurück.




Der Suizid des Intendanten

Hella Karl, Feuilleton-Chefin einer Berliner Zeitung, erfährt von dem überraschenden Suizid eines renommierten Theaterregisseurs und Ehemannes einer berühmten Operndiva. Im fernen Australien nahm er sich das Leben, während seine Frau im Sydney Opera House auf der Bühne stand. Da Hella kurz zuvor einen kritischen Artikel über ihn schrieb und öffentlich machte, dass er eine schwangere Mitarbeiterin zu einer Abtreibung nötigen wollte, werden nun Vorwürfe laut, dass sie an seinem Tod schuld sei. Ein Shitstorm bricht über sie herein, und Hella Karl steht nun selbst in der Schusslinie der Öffentlichkeit, weswegen sie von ihrer Chefin von der redaktionellen Arbeit freigestellt wird. Böse Zungen nennen dies auch Suspendierung. Die ungewohnt freie Zeit macht Hella zu schaffen, und sie reagiert mit psychosomatischen Beschwerden. Auch ihre Beziehung zu ihrem langjährigen Lebensgefährten T zerbröselt langsam. Aber Hella gibt sich noch längst nicht geschlagen und sucht nach dem wahren Grund des Suizids des Intendanten…

Das Streben nach Macht

Antje Rávik Strubel greift erneut, wie in ihrem Vorgängerroman, das Thema sexuelle Gewalt und männliche Dominanz auf. Aber dieses Mal ist es viel subtiler in ihren Text eingearbeitet und die Opfer werden nicht eindeutig benannt, verschwinden in der Vielzahl der Betroffenen. Zudem steht ihre Protagonistin Hella Karl ihrem Antagonisten Kai Hochwerth in kaum etwas nach. Was die Feuilleton-Chefin mit dem Intendanten verbindet, ist das Streben nach Macht und das Unterdrücken von anderen. Sympathisch ist keine der beiden Figuren, es geht einzig um das Aufpolieren der eigenen Persönlichkeit, ohne Rücksicht auf Verluste. Bei Kai führt es in den Selbstmord, bei Hella zu Rufmord. Und beides wird durch die ungebändigte Kraft der sozialen Medien zu einer Lawine, die auch durch Fakten kaum noch zu stoppen ist. Strubels klug erzählter Roman ergreift keine Partei und lässt viel Raum für eigene Interpretationen. Vor allem auch, was den Buchtitel betrifft.

Hochmut und Völlerei

Fasane spielen in jedem Kapitel eine Rolle und steigern sich schließlich zum völlig überraschenden, wenn auch irgendwie angekündigten Finale, mit dem ultimativen Einfluss eines Fasans. Bei ihrer Lesung am 19. März 2025 in der Urania Berlin verriet Strubel, dass sie sich ihren Titel aus Virginia Woolfs Essay "Vom Verachtetwerden oder Drei Guineen" ausgeborgt habe. Traditionellerweise wurde die Fasanenjagd vom Adel betrieben, um dabei potenzielle Schwiegersöhne für ihre Töchter zu finden. Aber Fasane spielten bereits in der griechischen Mythologie eine wichtige Rolle. Sie wurden oft mit dem Gott des Weins, Dionysos, verbunden und standen als symbolischer Vermittler zwischen der natürlichen Welt und dem Göttlichen. Im Mittelalter galt der Fasan als Inbegriff der Luxusspeisen und der Schwelgerei, und aufgrund der Tatsache, dass Fasanen-Hennen den Jäger von ihren Küken fortlocken, wurde der Fasan als Sinnbild des Teufels angesehen. Allegorisch wurde er auch als Superbia (Hochmut) und Gula (Völlerei) gedeutet, wohingegen der Fasan in China für Licht, Wohlstand, Glück und Schönheit und in Japan für Schutz, Mutterliebe und Tugend. Gegensätzlicher kann ein Symbol kaum ausgelegt werden.



Gegensatzpaare

Genau diese Gegensätze aber schreibt Antje Rávic Strubel in ihren Roman ein. Sie verwendet ausdrucksstarke Gegensatzpaare wie "Gefühlsgemenge von Überforderung und Langeweile", "So früh wie möglich zu spät zu kommen" oder "Den Ansprüchen des Tages entkommen, denen der Nacht noch nicht ausgesetzt". Was sich auf sprachliche Weise ausdrückt, findet sich auch in inhaltlicher Form wieder. Der umstrittene Theaterintendant hat neben seiner misogynen Art durchaus auch erheiternde Momente, die machtbesessene Feuilleton-Chefin hat ihre schwachen Augenblicke, die vermeintlichen Opfer entpuppen sich als starke Gegenspieler. Auch das Theaterstück "Der widerspenstigen Zähmung", das im Roman eine Schlüsselrolle spielt, erweist sich als eröffnendes Momentum: wer hier widerspenstig und wer dort gezähmt wird, ist nicht ganz eindeutig.

AVIVA-Tipp: Antje Rávic Strubels Roman "Der Einfluss der Fasane" ist so voller Anspielungen und Andeutungen, dass sie beim ersten Lesen sicher nicht in ihrer Gänze erfasst werden können und eine zweite Lektüre fast schon zwingend erforderlich machen. Ihre gestochen scharfen und präzise formulierten Sätze, die mit bissigem Humor und einem Hang zur Ironie gewürzt sind, greifen nicht nur das MeToo-Thema auf, sondern deklassieren auch den Presse- und Kulturbetrieb.

Antje Rávic Strubel: geboren am 12. April 1974 in Potsdam, machte nach dem Abitur eine Ausbildung zur Buchhändlerin, bevor sie an der Universität Potsdam und der New York University Literaturwissenschaften, Amerikanistik und Psychologie studierte. Bereits während ihres Studiums schrieb sie für die Potsdamer Neuesten Nachrichten und die Berliner Seiten der FAZ. 2001 erschien ihr Romandebüt "Offene Blende", gefolgt von "Unter Schnee" im selben Jahr, was wiederum zu Veröffentlichungen bei Deutschlandfunk, Die Zeit und EMMA führte. Des Weiteren übersetzt sie Texte aus dem Englischen und Schwedischen (u.a. Joan Didion, Monika Fagerholm und Lucia Berlin), gibt ihrer Liebe zu Schweden und zum Skifahren Ausdruck ("Gebrauchsanweisung für Schweden" und "Gebrauchsanweisung fürs Skifahren") und unterrichtet Schreiben - unter anderem am Deutschen Literaturinstitut Leipzig, als Leiterin der Prosawerkstatt des LCB oder am Lafayette College von Pennsylvania. Sie erhielt ein Stipendium der Villa Aurora in Los Angeles und war Stadtschreiberin in Rheinsberg. Für ihre Bücher erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen. Unter anderem 2003 den Roswitha-Preis und im gleichen Jahr den Kritiker*innenpreis für Literatur, 2005 den Marburger Literaturpreis für ihren Roman "Tupolew 134", oder 2019 den Preis der Literaturhäuser. Zuletzt wurde sie mit dem Deutschen Buchpreis 2021 ausgezeichnet. 2022 erschien der Essayband "Es hört nie auf, dass man etwas sagen muss"; im März 2025 der neue Roman "Der Einfluss der Fasane". 2021 wurde Strubel in die Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur aufgenommen, ist Mitglied des PEN Zentrums Deutschland und Mitgründerin des PEN Berlin, sowie Mitglied im Beirat Literatur und Übersetzungsförderung des Goethe-Instituts. Im Jahr 2023 hielt sie im Rahmen der Göttinger Lichtenberg-Poetikvorlesung zwei Vorträge mit den Titeln "Nah genug weit weg" und "Widersprich dir!" Antje Rávik Strubel lebt zusammen mit ihrer Partnerin in Potsdam.
Antje Rávik Strubel im Netz www.antjestrubel.de

Antje Rávik Strubel
Der Einfluss der Fasane

S. Fischer Verlag, erschienen 03/2025
Gebundenes Buch, 240 Seiten
ISBN 978-3-10-397171-2
Euro 24,00
Mehr zum Buch unter: www.fischerverlage.de


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Joan Didion - Was ich meine
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Copyright Foto von Antje Rávik Strubel: Silvy Pommerenke


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Beitrag vom 22.03.2025

Silvy Pommerenke